A Black Jesus

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Migration, Integration, Flüchtlingspolitik, Ausländerfeindlichkeit aber ...
 
... auch die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der sizilianischen Provinz und die damit verbundene Landflucht sind die Themen dieser Dokumentation von Luca Lucchesi.
 
Keine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen mehr
 
Edward, ein junger Mann aus Ghana, lebt seit mehr als einem Jahr in Siculiana, einer kleinen Stadt in Sizilien. Er liefert uns die beiden wichtigsten Informationen gleich zu Beginn des Films: „Hier im Dorf gibt es eine schwarze Jesusfigur. Aber es gibt auch ein Flüchtlingszentrum.“. Edward ist dankbar. Er ist seinem Gott dankbar. Und er ist seinem Gastland dankbar. Er möchte diese Dankbarkeit ausdrücken, indem er zusammen mit Einheimischen bei der jährlichen Prozession das Kruzifix mit dem schwarzen Christus trägt …
 
Regisseur und Co-Autor Luca Lucchesi ist in Palermo geboren. Sein Vater stammt aus Siculiana, dem Ort in dem das Kruzifix mit dem schwarzen Jesus verehrt wird. Der junge Filmemacher hat das Herz sicher am rechten Fleck. Man merkt dem Film an, wie viel Lucchesi an dem liegt, was er uns auf der Leinwand zeigt. Die Protagonisten, egal ob Flüchtlinge, Menschen die ihnen helfen oder auch Einheimische mit ihren Sorgen und Bedenken, werden nie vorgeführt. Auch die vielen Probleme der Migranten einerseits und die der Sizilianer andererseits, werden nie reißerisch vermittelt.
 
Aber Lucchesi zeigt uns in seinem Film recht bald zu viele Protagonisten. Und ganz sicher will er uns zu viele Probleme vermitteln. Und so lernen wir während der 90 Minuten des Films keine der Figuren je richtig kennen. Über Edward erfahren wir im Verlauf des Films nicht viel mehr als uns der Trailer bereits verrät. Er stammt aus Ghana und will den schwarzen Jesus tragen. Das war es bereits. In einer Zeit, in der viele Europäer immer noch nicht verstehen wollen, warum so viele Menschen aus anderen Teilen der Welt zu uns kommen, kann man in einem solchen Film die Beweggründe des Migranten und seine Geschichte doch nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Damit erweist der Filmemacher seinem Protagonisten und seinem Thema einen Bärendienst.
 
Man kann nachvollziehen, wo und wie Lucchesi sich in seinem Film übernommen hat. Er hat im Laufe der Dreharbeiten wohl zu viele interessante Menschen mit zu vielen interessanten Geschichten in zu vielen interessanten Situationen vor die Kamera bekommen. Über die Ordensschwester, die den Migranten Mut zuspricht und ihnen erklärt, sie müssten ihre Reise fortsetzen, möchte man einen eigenen Film sehen. Leider erfahren wir weiter nichts über diese Frau und sehen sie für den Rest des Films nie wieder.
 
Wir sehen den Lehrer, der den Flüchtlingen Italienisch beibringt und sich rührend um sie kümmert, beim Friseur sitzen. Dieser bescheidene Mann lächelt auch dann noch freundlich, wenn der Friseur die üblichen fremdenfeindlichen Latrinenparolen von sich gibt, die ihn doch wütend machen müssten. Immer wieder sehen wir den Lehrer seine Schützlinge ermutigen, während ihre und auch seine Zukunft ungewiss bleibt. Aber wir erfahren nie, was diesen gütigen Menschen antreibt, was ihn davor bewahrt zu verzweifeln und aufzugeben.
 
Wir sehen alte Damen miteinander plaudern. Eine hat Angst vor Flüchtlingen, ihre Freundin sieht alles ganz anders. Wir sehen Passanten im Gespräch. Einer äußert sich fremdenfeindlich, der andere gibt Kontra. Dann wiederum hören wir wie Schüler das Flüchtlingsproblem besprechen. All das geht reihum durcheinander. Dabei scheint der Filmemacher auch schon mal den Überblick zu verlieren. Wir hören einem älteren Sizilianer zu, der selbst 45 Jahre lang in Köln gelebt und gearbeitet hat. Über seine deutschen Arbeitgeber hat er nur Gutes zu sagen, aber er macht sich Sorgen um seine Heimat. An einer Stelle erwähnt er den italienischen Innenminister Salvini. Aber ob der freundliche ältere Herr nun für oder gegen Salvinis harten Kurs gegen Flüchtlinge ist, erschließt sich nicht richtig.
 
 
Italien ist am Ende
 
Lucchesi zeigt uns nicht bloß zu viele Protagonisten. Er will auch zu viele Probleme auf einmal behandeln. Fluchtursachen werden nicht einmal erwähnt. Langwierige Behördenwege werden erwähnt, aber nicht erklärt. Die Schließung des Flüchtlingszentrums droht. Aber wir erfahren nie, wer das Zentrum schließen will und warum. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Siziliens bilden einen vagen Hintergrund, aber auf kein einziges wird näher eingegangen. An einer Stelle sprechen zwei Teenager über eine Wahl. Worum es bei der Wahl ging und wer gewählt wurde, bleibt unklar.
 
Und bei all dem ist der zentrale Konflikt des Films tatsächlich gar keiner. Im Pressetext zum Film heißt es, Edwards Wunsch, den schwarzen Jesus in der Prozession zu tragen, „spaltet die Gemeinde“. Wenn das so gewesen sein sollte, dann zeigt uns Lucchesi nichts davon. Nach ganzen 67 von insgesamt 90 Minuten sehen wir, wie Edward dem Priester seinen Wunsch vorträgt. Kurz darauf informiert der Priester die Gemeinde und nur wenige Minuten später sehen wir Edward und drei andere Flüchtlinge an der Prozession teilnehmen und das Kruzifix tragen.
 
Hat Lucchesi es versäumt, uns negative Reaktionen auf die vier schwarzen Kreuzträger zu zeigen? Fehlte dem Filmemacher die Zeit, diesen Konflikt zu vermitteln? Oder gab es einfach nichts zu zeigen? Vielleicht hatten die Mitglieder der Kirchengemeinde und die einfachen Bürger gar kein so großes Problem mit den neuen Teilnehmern an der Prozession. Vielleicht war es – wie so oft - die nationale und internationale Politik, durch die viele Probleme erst entstehen oder zumindest schlimmer gemacht werden. Wenn dem so war und Lucchesi auch das nicht vermitteln konnte, muss sein Film leider als gutgemeinter Misserfolg bewertet werden.
 
 
Fazit
 
Luca Lucchesi möchte in seinem Film zu viele, zu komplizierte Themen behandeln und wird am Ende keinem davon gerecht. Am Ende bleiben Stimmungsbilder aus einem wunderschönen Teil der Welt dessen Probleme wir nur erahnen können.
 
 
Link zum Film >> dplus b
 
 

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Weitere Informationen

  • Autor/in: Walter Hummer
  • Regisseur: Luca Lucchesi
  • Drehbuch: Hella Wenders