Fahrenheit 11/9

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Michael Moore ist vielleicht kein verlässlicher, aber sicher ein eifriger Chronist ...
 
... des Verfalls der Vereinigten Staaten von Amerika. In seinem neuesten Film beschäftigt er sich mit den Ursachen für den Ausgang der letzten Präsidentenwahl.
 
„Hillary! Hillary!“
 
Zu Beginn des Films sehen wir Archivbilder vom letzten Tag des Präsidentschaftswahlkampfs 2016. Hillary Clinton ist siegessicher. Ihre Anhänger und vor allem Anhängerinnen weinen vor Glück. Die Ney York Times schätzt die Chancen auf einen Sieg Trumps auf gerade mal 15%. Und selbst die erzkonservativen Fox-News veröffentlichen Quoten von 3:1 für Clinton.
 
Und so beginnt der Film mit einer seiner stärksten Sequenzen, wenn Moore die Kandidatin Clinton, ihren Wahlkampf und ihre Anhänger in einer fast zynischen Montage am Ende des Wahlkampes zeigt. Zu den immer und immer wiederholten Klängen von „Fight Song“ zeigt er uns Bilder, die illustrieren was Moore für einen der Hauptgründe für Trumps Sieg hält: die Ignoranz von Leuten, die es besser wissen sollten.
 
Der neue Film von Michael Moore beschäftigt sich nicht nur mit der Person des 45. Präsidenten der USA. Moore dreht seine Filme immer mit Wut im Bauch. Und diesmal richtet sich seine Wut kaum gegen Donald Trump. Sie richtet sich auch gar nicht ausschließlich gegen die rechte Elite, die dafür gesorgt oder zumindest zugelassen hat, dass dieser Mann eines der wichtigsten Ämter der Welt erlangen konnte. Moores Wut richtet sich gegen weite Teile der amerikanischen Gesellschaft. Sie richtet sich gegen die Demokraten, die seit einigen Jahrzehnten keine demokratische Politik mehr machen. Sie richtet sich gegen liberale Medien, die tatsächlich nicht annähernd so liberal sind, wie sie sich gerne geben. Und sie richtet sich offensichtlich auch gegen Hillary Clinton, die er nach dem Ausscheiden von Bernie Sanders im Wahlkampf 2016 noch zähneknirschend unterstützt hat.
 
„How the fuck did this happen?”
 
Nach dem Prolog zeigt der Vorspann Bilder von Trumps Wachspuppe zu den Klängen von “Ridi, Pagliaccio“ (auf Deutsch: „Lache, Bajazzo“). Und so sehen wir gleich ganz wunderbar wie schlampig Moore als Filmemacher arbeitet. Wer soll denn hier der traurige Clown sein, der sich zum Lachen zwingen muss? Trump sicher nicht. Auch wenn der natürlich ein Clown ist, dann doch sicher kein trauriger. Und schnell, fast hektisch haut uns Moore dann in einer rasanten und trotzdem zu langen Sequenz all die Gründe um die Ohren, warum Donald J. Trump nicht bloß ein unwürdiger Präsident, sondern auch noch ein ekelhafter Mensch ist.
 
Der Teil des Films, der sich mit Trump beschäftigt, ist mit deutlichem Abstand der schwächste Teil eines Films, der sich im weiteren Verlauf trotz offensichtlicher Schwächen zu den stärksten Arbeiten entwickelt, die Moore seit langem abgeliefert hat. Die Trump-Szenen fallen nicht nur deshalb schwach aus, weil wir mittlerweile leider mit all der Frauenfeindlichkeit, dem Rassismus und der ganz allgemeinen Widerlichkeit dieses Menschen bestens vertraut sind. Moores gewohnt ironischer Stil wirkt in einigen Szenen – sicher ungewollt – leider fast bewundernd. So sind vor allem die Bilder, auf denen Trump seine Tochter Ivanka immer und immer wieder küsst, an den Hüften hält, auf seinem Schoß sitzen lässt und über Sex mit ihr spricht, für den Betrachter nur sehr schwer erträglich.
 
 
„None of this is new”
 
Aber gerade als man sich damit abfinden will, dass Michael Moore sich in diesem Film auf das leichteste Ziel einschießen wird, schlägt der Filmemacher einen ungewöhnlichen Weg ein. Nicht nur sucht Moore die Schuld für Trumps Aufstieg nicht allein beim „Feind“, er findet sie nicht nur beim „Freund“, er findet sie auch bei sich selbst. Dieser sicher wenig selbstkritische Regisseur widmet sich hier eigenen Fehlern. Recht früh im Film zeigt er, wie auch er anlässlich eines Interviews 1998 Trumps ewiges Spiel mit den Medien mitgemacht hat.
 
Moore sieht die Schuld für Trumps Aufstieg und vieles andere, was in seinem Land nicht (mehr) funktioniert, auch bei ihm und Leuten wie ihm. Am Ende einer eindrucksvollen Geschichte über vergiftetes Trinkwasser in seiner Heimatstadt Flint, Michigan, schreckt Moore nicht einmal davor zurück, den Schutzheiligen aller liberalen Amerikaner zu demontieren. Wenn er zeigt, wie Barack Obama die Gelegenheit verstreichen lässt, eine vom Republikanischen Gouverneur aus reiner Geldgier verursachte Krise deutlich anzusprechen und mit den erforderlichen Mitteln zu beenden, ist das eine starke Botschaft an alle, die meinen, mit ewigen politischen Kompromissen wirklich etwas verändern zu können.
 
Aber die Geschichte über aus reiner Profitgier vergiftetes Trinkwasser zeigt auch ein weiteres von vielen Defiziten von Moores Werk. Diese Geschichte ist einfach zu gut, zu wichtig, zu bedeutend und zu berührend, um nur eine Episode in diesem Film zu liefern. Diese Geschichte hätte die Grundlage für einen eigenen, sehr viel besseren Film bilden müssen. Ebenso hätte man sich mehr und ausführlicheres Material von und über die Teenager gewünscht, die im Anschluss an das Massaker in Parkland, Florida den „March for our lives“ organisiert haben. Diese fantastischen jungen Menschen lassen uns etwas Hoffnung schöpfen, bevor der Film schon wieder wenig subtil zum nächsten Thema springt.
 
„… your tired, your poor, your huddled masses …”
 
Moore zeigt uns deutlich, wie unwichtig die einfachen Menschen für die amerikanischen Eliten auf beiden Seiten des politischen Spektrums sind, wie menschenverachtend Politik und Wirtschaft den Armen und Unterprivilegierten begegnen. Daher ist es besonders verwirrend, wie wenig Interesse Moore immer wieder an den vielen verschiedenen Menschen zeigt, die seinen Film mit ihren Geschichten und Kommentaren erst interessant machen.
 
Von kaum einer der Interviewpartner im Film erfahren wir den Namen. Wir erfahren nicht, aus welchem Land die Ärztin stammt, die über die systematische Vergiftung amerikanischer Kinder ebenso wie über den amerikanischen Traum spricht. Wir hätten gerne gewusst, wie es der mutigen Mitarbeiterin der Gesundheitsbehörde ergangen ist, nachdem sie sich geweigert hatte, geringere Bleiwerte zu notieren als tatsächlich gemessen wurden. An einer Stelle spricht ein betagter Herr über die Parallelen zwischen den Anfängen des dritten Reichs und der heutigen Situation und erwähnt dabei seine persönlichen Erfahrungen mit Naziverbrechern. Wo der alte Mann diese Erfahrungen gemacht hat und in welcher Funktion, verrät uns der Film nicht. Die sicher faszinierende Geschichte dieses Mannes war Moore nicht einmal ein eingeblendetes Insert wert. Es gibt weltweit kaum einen zweiten Filmemacher, der so schlampig arbeitet und damit solchen Erfolg hat.
 
Dabei sieht man immer wieder, welches Potential in Moores Film steckt. Sein Mitarbeiterstab für Recherche und Archivmaterial hat fantastische Arbeit geleistet. Wenn mittendrin dann Bildmaterial aus Moores Film „Roger and me“ von 1989 einfach ohne jeden Hinweis eingefügt wurde, kann das nur der Faulheit Moores geschuldet sein.
 
Die lange Liste von interessanten Interviewpartnern reicht vom Kriegsveteranen der aus reiner Frustration für ein politisches Amt kandidiert, über großartige Lehrer die sich mit einem Streik über die lächerliche Kompromissbereitschaft ihrer eigenen Gewerkschaft hinweggesetzt haben bis zu Bernie Sanders. Und Moore fällt jedem einzelnen dieser faszinierenden Gesprächspartner immer wieder vor laufender Kamera ins Wort. In einigen Fällen legt er ihnen Worte in den Mund, als wären ihre eigenen Aussagen nicht ausreichend. Wenn der Film trotzdem ein bewegendes Dokument der aktuellen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Situation der Vereinigten Staaten bildet, dann ist das vor allem das Verdienst dieser Menschen, die hier im wahrsten Sinne des Wortes Zeugnis ablegen.
 
 
Fazit
 
„Fahrenheit 11/9“ ist sicher kein subtiler Film. Und ganz sicher ist der Film keine sachliche Dokumentation geworden. Aber trotz all seiner Schwächen hat Michael Moore hier einen bewegenden und wichtigen Film gemacht.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor/in: Walter Hummer
  • Regisseur: Michael Moore
  • Drehbuch: Michael Moore